Gleich mal vorweg – dies hier schreibe ich – Oskar. Aber nachdem es sich um die gesammelten Erkenntnisse von Hans bezüglich von Flut und Ebbe hier auf Vanuatu handelt, die meiner Meinung nach unbedingt der Weltöffentlichkeit zugeführt werden müssen und er es wahrscheinlich nicht selbst niederschreiben würde – mache ich das eben.
Seine Gedanke, die er freundlicherweise jedesmal mit mir geteilt hat, wenn wir wieder im Meer waren oder auf dem Weg dorthin, sind aber wieder ein schönes Sinnbild für unseren „weit weg von jeder Problematik“-Zustand, in dem wir mittlerweile angelangt sind. Das Leben plätschert angenehm dahin. Unsere Gespräche sind von einer derartigen Tiefenentspannung geprägt, daß jeder noch so stressgeplagte Manager innerhalb von Sekunden in einen meditativen Dauerschlaf fallen würde.
So sind manchmal die Themen, über die wir Ewigkeiten nachdenken und philosophieren könnten. Und nur durch diese Tatsache – und durch sonst nichts anderes – lassen sich die folgenden Unterhaltungen von uns halbwegs nachvollziehen und ertragen. Wenn Ihr jetzt nicht weiterlesen wollt, weil Euch nach dieser Einleitung der Verdacht kommt, daß dies hier etwas langatmig werden könnte, dann kann ich es nur allzu gut verstehen – so habe ich mich teilweise auch gefühlt. Und an alle Anderen – sagt nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt! *Frechgrins*
Die unendliche Geschichte mit der Flut!
Wie jeder weiß, wechseln sich Ebbe und Flut im 6-Stunden Rhythmus ab. Oder zumindest fast, denn nachdem der Mond einen Monat für die Umrundung der Erdkugel braucht, und dafür eben etwas über 30 Tage braucht, kann man sich ausrechnen, daß dies nicht perfekt in einen 24 Stunden Tag passt. Bevor ich mich hier jetzt aber in mathematischen Abhandlungen ergehe und dieser Eintrag dann doch zu „Oskar’s Gezeiten-Erkenntnissen“ mutiert, begnüge ich mich – und Ihr Euch somit auch – damit, daß Flut und Ebbe sich in etwas mehr als 6 Stunden abwechseln. (Genau sind es 6 Stunden und 12 Minuten – laut Wikipedia, wie ich mich nach den Vorkommnissen der letzten Tage gezwungen sah, diese Wissensbibliothek zu konsultieren, um endgültig Klarheit zu schaffen).
Na gut, soweit zur Theorie – und jetzt zurück zu Hans.
„Sag mal Oskar“, begann er neulich, „Kommt die Flut jetzt, oder geht sie?“
Wir sind beide im Meer und kühlen uns in der größten Mittagshitze im Wasser ab.
„Na, sie kommt!“, sage ich bestimmt. „Gestern waren wir hier um halb zwölf draußen auf dem Riff und da war absolute Ebbe.“ Die Sache ist für mich damit klar.
Hans planscht ein paar Minuten schweigend im Wasser und beobachtet das Meer.
„Aber die Wellen sind gar nicht so hoch…“, sagt er schließlich.
„Naja, es ist ja auch erst zwölf, da braucht die Flut ja noch ein paar Stunden, bis sie am Stärksten ist.“
Wieder Schweigen.
Hans schwimmt langsam um seine eigene Achse und schaut mal aufs offene Meer hinaus, dann mal wieder zu den Felsen, dann in Richtung Strand.
„Aber gestern Abend war doch auch Ebbe!“, wirft er ein, „Wieviel Uhr war denn das?“
Ich runzle die Stirn, „Nachdem die Anderen gegangen sind…“, überlege ich kurz, „so gegen 23 Uhr?“
Wieder Schweigen.
„Dann musste ja zwischendurch Flut gewesen sein!“
Ich blicke etwas verwundert zu Hans. Er ist doch eigentlich ein ganz Cleverer. Was hat er denn jetzt für ein Thema mit der Flut?
„Also“, fährt er fort, „als wir angekommen sind, waren wir doch baden, da war doch das Meer viel höher als jetzt!“
„Jahaa“, antworte ich geduldig, „das war aber auch drei Stunden später als jetzt.“
Zwei weitere schweigsame Runden um die eigene Achse folgen. Hans‘ sonst so schnell funktionierender Verstand hatte sich offenbar in eine Art Standby-Modus begeben.
„Also kommt jetzt die Flut, oder geht sie?“, fragt er nun etwas barscher.
Ich atme tief ein und wiederhole seufzend. „Sie kommt.“
„Aha…“
Damit war Teil eins der Flut und Ebbe Gespräche erstmal beendet – zumindest für mich. Denn vier Stunden später ergab sich ein kleines Deja-vú Erlebnis.
„Jetzt ist das Wasser aber immer noch nicht richtig hoch!“, meint Hans, als wir wieder im Wasser sind. Ein kleiner triumphierender Unterton schwingt in seiner Stimme mit.
„Vielleicht geht ja das Meer auch schon wieder zurück?“, meine ich und verdrehe die Augen.
„Das hätten wir doch gemerkt!“
„Wie denn?“, entgegne ich, „wir haben geschlafen.“
„Ich nicht! Ich habe gelesen!“, sagt er entrüstet.
„Dann musst Du mir das aber unbedingt beibringen, wie man mit geschlossenen Augen liest und dabei auch noch schnarcht!“. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und bespritze ihn mit Wasser.
„Hej!“, ruft er lachend, „lass das!“.
Wir lassen uns eine Zeitlang von den Wellen hin- und hertreiben.
Dann sagt er: „Die Flut kommt und geht ja alle sechs Stunden…“.
Eins muss man ihm ja lassen, wenn er sich mal an etwas festgebissen hat, dann lässt er nicht locker.
„… und somit müsste sie jetzt noch kommen!“
„Hans“, sage ich mit einem langezogenen ‚aaaa“ , „es sind ja auch nur ungefähr alle sechs Stunden… ich glaube es sind sogar nur alle fünfeinhalb Stunden…“. So genau weiß ich das nämlich selber nicht. „…also müsste es jeden Tag etwas früher sein.“
Ich weiß jetzt natürlich, daß dies die richtige Schlussfolgerung war, die aber leider auf der falschen Ausgangstatsache beruhte – und somit die Flut jeden Tag später kommt, und zwar um fast eine Stunde. Jedenfalls hat dies dann meinen armen Hans völlig verwirrt.
„Also kommt die Flut jetzt noch oder wie?“.
Ich seufze. „Sie geht.“
„Aha…“
Falls ich dachte, daß damit das Gezeiten-Thema durch wäre, wurde ich um 11 Uhr des darauffolgenden Tages eines Besseren belehrt. Wir gingen mit Shane’s Hunden aufs Riff raus, damit die etwas Bewegung bekamen – und wir auch.
„Geh nicht so nah an die Kante, Oskar!“, ruft Hans mir von Weiten zu. „Die Flut kommt!“
Oh nein, denke ich, nicht schon wieder dieses Flut-Thema!
„Ach Quatsch!“, rufe ich zurück, „Es ist doch viel zu früh! Die Ebbe ist doch noch gar nicht richtig da!“
„Nein, nein!“, er schüttelt den Kopf, „Ich sehe es genau, die Wellen werden schon größer und das Wasser schwappt schon herüber!“
Nur um ihn etwas zu teasen gehe ich noch zwei Schritte näher an den Rand des Riffes.
„Jetzt komm halt zurück!“, meint er leicht ärgerlich.
Ich grinse verstohlen und wir gehen zum Strand, während die Hunde um uns rumtollen und Vögel jagen. Wir schnappen uns unsere Bücher und legen uns auf die Liegen.
Nach zwei Stunden schaue ich zu Hans rüber und sehe, daß er aufgehört hat zu lesen und das Riff verwundert beobachtet. Ich folge seinem Blick und muss breit grinsen. Das Riff ist fast komplett zu sehen und das Meer weit, weit draußen. Die Ebbe ist da.
„Irritiert?“, frage ich amüsiert. Er antwortet nicht, sondern starrt das Meer vorwurfsvoll an.
„Dürfte ICH Dir jetzt mal eine Frage stellen?“, sage ich schließlich.
Er bemerkt den neckenden Unterton in meiner Stimme und nickt misstrauisch.
„Also Hans, kommt die Flut jetzt noch oder geht sie?“
„SIE KOMMT!“
„AHA!“, imitiere ich ihn.
Wir schauen uns beide an und prusten mit einem Mal laut los vor Lachen bis uns fast die Tränen kommen.
„Oh je!“, meint Hans, als er wieder zu Atem kommt „Ich glaube, das blick ich hier jetzt auf Vanuatu nicht mehr!“
Eigentlich wäre die Geschichte damit abgeschlossen und ich wollte sie so in den Blog stellen. Allerdings wollte ich noch das Ok von Hans haben, weil er ja doch etwas schlecht wegkommt. Also habe ich ihm eben alles vorgelesen.
„Gibt’s ein Veto von Dir, oder kann ich das so einstellen?“, frage ich.
„Nö, passt schon“, antwortet Hans. „War ja so.“
„Die Leute werden denken, wir werden so langsam pläm-pläm auf unserer Reise, wenn sie das hier lesen!“, lache ich.
Schweigend schauen wir eine Weile aufs Meer.
„Naja…“, fängt Hans dann an zu sagen, „…aber… ich meine… nochmal wegen der Flut…“
Nee, denke ich, was kommt den JETZT wieder und schaue mit großen Augen zu ihm.
„…ich meine… eine Sache ist mir noch nicht klar…“, er fährt zögernd fort.
„Jaahaaa, was denn?“
„… wenn hier Flut ist… wie ist es dann auf Gran Canaria?“
„Gran Canaria?!?“
Meine ungläubige Frage wird von meinem Lachanfall erstickt. „Du bist unglaublich, Hans! Gran Canaria!!! Ich fass es nicht!“, ich kann nicht aufhören zu lachen. „Bitte hör auf, ich krieg sonst Bauchkrämpfe! Was Du Dir aber auch für Gedanken machst!“, ich schüttele den Kopf, „Gran Canaria! Du machst mich echt platt!“
Damit ist der lustige Part der Story vorbei und ich will nur kurz zur Ehrenrettung von Hans hinzufügen, daß seine Frage nach Gran Canaria sehr berechtigt war, was ich nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, verstand. Der Zeitunterschied von Vanuatu zu Gran Canaria beträgt ca. 12 Stunden. Wenn also sechs Stunden weiter Ebbe ist, dann muss 12 Stunden weiter – also genau auf der anderen Seite der Erdkugel – wieder Flut sein. Wie kann das sein, wenn die Flut vom Mond bestimmt wird.
Was die Erklärung des Ganzen ist, könnt Ihr im Detail in Wikipedia nachlesen und will ich hier nicht ausführen. Nur zum Abschluss soviel, es endete vorhin damit, daß ich mit einer Melone (als Erde) und einer Tomate (als Mond) bewaffnet vor Hans stand und Begriffe wie Gravitation, Zentripetalkraft und resultierenden gegensätzlichen Kräfte fallen lies, was alles zusammen die Gegenflut auf der mondabgewandten Seite erkärte.
Als ich fertig war, starrte Hans mich aus großen Augen an uns sagte nur:
„Aha!“
Und damit waren wir wieder am Anfang angekommen…
Sehr einleuchtend, haha…:) Weiterhin viel Entspannung und lebt schoen in den Tag hinein, das erhoeht die Wahrnehmung…
Besitos aus Gran Canaria wo es heute im Sueden endlich geregnet hat. Yuchee
….. gröhl …..