Oskar’s Vanuatu

„Weißt Du, wie ich mir hier vorkomme?“, fragt mich Hans und blickt auf das Strandhaus von Shane.
„Wie denn?“. Ich tauche nochmals mit dem Kopf in das kühle Meerwasser und streiche mir die Haare aus dem Gesicht.
„Wie Robinson Crusoe“, sagt er – und nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Nur mit Bediensteten und Airkondition.“ Lach!
„Aha, und wer bin ich dann?“, frage ich schmunzelnd.
„Na Freitag natürlich!“. Natürlich! Wie konnte ich denn überhaupt fragen!
„Heute bin ich ja wohl eher Montag“, entgegne ich, „und morgen Dienstag und übermorgen Mittwoch…“. Wir lachen beide und genießen den natürlichen Pool im Meer.

Wir sind auf Vanuatu in der Südsee – dem entferntesten Ort auf unserer Reise! Und gleichzeitig ist es der entfernteste Ort, an dem ich jemals war. Irgendwie hatte ich immer den Eindruck, man würde es spüren, wenn man genau auf der entgegengesetzten Seite der Erdkugel war. Denn wenn man sich einen Globus hernimmt und sich eine direkte Verbindung von Deutschland durchs Zentrum vorstellt, dann kommt man irgendwo hier in der Nähe raus.
Aber außer, daß es sehr heiß ist, spürt man nichts. Es ist, wie an jedem anderen Ort der Welt, man steht natürlich nicht Kopfüber da, auch wenn man ‚Down Under‘ ist. Nur die Sonne läuft anders über den Himmel – von rechts nach links, anstatt wie bei uns von links nach rechts. Das scheint im ersten Augenblick nichts Besonderes zu sein, aber spätestens wenn man versucht, die Liege so unter den Schirm zu platzieren, daß man noch länger Schatten hat, merkt man, daß man den Sonnenweg falsch berechnet hat und man doch dazu verdonnert ist, ständig seine faule Lage aufzugeben um wieder weiterzurücken.

Überhaupt stellt sich bei uns nach über sieben Wochen eine gewisse Konfusität ein. Das merken wir an verschiedenen Sachen. Am Straßenverkehr zum Beispiel. Nachdem wir in Dubai ‚Rechtsverkehr‘ wie in Deutschland hatten, hatten wir natürlich in Australien ‚Linksverkehr‘. Dazwischen hatten wir ein Wirrwarr an wild durcheinanderfahrenden Autos und Motorrädern in Thailand und auf Bali. Jetzt sind wir auf Vanuatu und hier ist wieder ‚Rechtsverkehr‘ und ich traue mich schon überhaupt nicht mehr, mich ans Steuer zu setzen, weil ich nur noch irritiert bin. Das führt auch dazu, daß ich mir angewöhnt habe, erstmal wie ein Papagei meinen Kopf in alle Richtungen zu drehen, bevor ich eine Straße überquere.

Ein anderes Beispiel ist das Geld. Der ständige Wechsel der Umrechnungskurse führte bereits dazu, daß ich eindringlich auf Hans eingeredet habe, er soll unbedingt feilschen, wenn er schon 3 Krawatten für 20 Baht pro Stück auf einem thailändischen Markt kauft. Er tat es nicht und ich war etwas enttäuscht. Dann meinte er aber, daß es ihm komisch vorgekommen wäre, für 50 Cent pro Krawatte dann auch noch zu handeln… Mist! Diese ständige Umrechnerei!

Seit wir jetzt auf Vanuatu sind, hat aber das Durcheinander bisher seinen Höhepunkt erreicht!
Shane, ein langjähriger Freund von Hans, lebt auf dieser Südsee-Insel. Er hat sich vor drei Jahren ein Haus am Strand gebaut, mit einem riesigen Grundstück und eigenem Meerzugang, daß er uns unglaublicherweise zur freien Verfügung gestellt hat. Es ist irre hier! Man fühlt sich tatsächlich an Robinson Crusoe erinnert – es ist schöner, als in irgendeinem Film! Seit vier Tagen beschränkt sich deshalb unser Bewegungsradius auf das Haus, die Liegen am Strand und den natürlichen Pool im Meer – ach ja und seit gestern verstärkt auch auf die Toiletten, weil wir beide einer tropische Normalität zum Opfer gefallen sind, die wohl mit dem Trinkwasser zusammenhängt. *grrr*

Aber warum schreibe ich, daß wir hier besonders durcheinander sind? Es beginnt damit, daß wir hier tatsächlich abgeschieden sind von der Außenwelt. Kein Internet, Handy-Empfang nur ein paar Meter vorm Haus und der Generator wird für zwei Stunden am Tag angeworfen, damit wir kochen können. Die Angestellten, die weiter hinten auf dem Grundstück wohnen, kochen noch auf Feuerholz, und dies obwohl sie einen Gasherd haben – ist ihnen aber angenehmer.

Wir laufen seit wir hier sind nur mit Badehose oder Sarong bekleidet rum, sodaß wir auch gar keine Ahnung haben, wieviel Uhr es ist. Das führte nun dazu, daß wir gestern und heute zum Sonnenaufgang aufgestanden sind und im Meer baden waren – als ich dann doch mal auf die Uhr gesehen habe, machte ich große Augen: 4:45 Uhr! Völlig verrückt! Dafür fallen uns dann Abends um acht auch die Augen zu! Das Zeitgefühl ist komplett weg.
Auch mit den Wochentagen tun wir uns langsam schwer. Hans kam gestern leicht verzweifelt zu mir – er schrieb gerade an diesem Blog – und meinte: „Ich blick’s überhaupt nicht mehr, Tag 36, oder Tag 42 oder Tag 29, bei welchem Tag bin ich jetzt eigentlich?“. Ist aber alles auch nicht wirklich wichtig hier. Wir genießen es einfach in vollen Zügen.

Lach! Genau jetzt während ich das schreibe, hatte ich eben ein lustiges und passendes Erlebnis mit den Angestellten hier – John und seiner Frau Sheela (so hieß auch mal unser Wellensittich, aber das nur nebenbei) – welches absolut spitze verdeutlicht, wie unwichtig Zeit hier auf der Insel ist. Und so spielte sich das ab:
„John, wie alt bis Du?“, frage ich ihn, als ich kurz vom Bildschirm hochschaue und sehe, daß John die Kissen reinräumen will.
„Hmmm, 33“, erwidert er nach einer kurzen Denkpause. Das hatte ich mir schon gedacht, er sieht aus wie 45 oder älter, ich wußte aber, daß er sicher einiges jünger ist.
„Und Sheela?“
John schaut mich mit großen Augen an und überlegt. Dann zuckt er mit den Schultern und meint: „Keine Ahnung.“
In diesem Augenblick kommt Sheela um die Ecke und John ruft zu ihr: „Hey Sheela, wie alt bist Du?“
Sie bleibt stehen, macht genauso große Augen wie John gerade und zuckt ebenfalls mit den Schultern. Dann schaut sie mich an und muss verlegen lachen, als sie meinen erwartungsvollen Blick sieht. Nachdem ich sie weiterhin fragend ansehe, merkt sie, daß ich es wirklich wissen will. Sie dreht die Augen nach oben, als ob die Antwort in den Blättern der Panbdamus-Bäume zu finden wäre, und überlegt. Auch John schaut seine Frau nun neugierig an.
„Siebenundsiebzig…“, sagt sie schließlich mehr zu sich selbst als zu uns und es ist klar, daß sie damit ihr Geburtsjahr meint. Ah, denke ich mir, zwei Jahre jünger als ich, also 36. Doch so schnell ist sie nicht. Mit den Fingern beider Hände und mit Hilfe von John zählt sie nun langsam die Jahreszahlen aufwärts, bis sie nach ca. drei Minuten endlich bei 2013 angekommen ist und mit fröhlich eine „37“ entgegenruft. Beide strahlen mich daraufhin an und sind sichtlich froh, diese schwere und für sie offenbar völlig sinnlose Frage beantwortet zu haben. Fehlte nur noch, daß sie mit dem Kopf schütteln und vor sich hermurmeln würden: „Ts, was diese Weißen aber auch immer mit der Zeit haben…“ Das machen sie aber nicht – müssen sie auch nicht. Die Botschaft ist längst bei mir angekommen. Zeit hat hier einfach keine Bedeutung!

Da wir aber doch Europäer sind, können wir nicht aus unserer Haut raus, und so zählen wir bereits sogar die Tage, die wir in dieser kleinen, abgeschiedenen Welt verbringen. Es sind vier – und für uns somit Erholung genug und uns dürste es nach etwas Zivilisation – oder zumindest nach einem Supermarkt, da unsere Vorräte zu Neige gehen! Und auch nach dem Internet, damit wir unsere Einträge, die wir hier Offline schreiben, mal wieder einstellen können. Oder eMails checken, oder damit wir generell mal wieder wissen, was so in der Welt los ist.

Deshalb werden wir uns jetzt auch gleich auf den Weg machen. Einmal mit dem Auto um die Insel und schauen, was es hier so gibt. Es soll auch ein tolles Tauchgebiet hier sein und ich will mich davon mal die nächsten Tage selbst überzeugen. Also werden wir auch nach einem ‚Diving Centre‘ Ausschau halten.

Dann macht’s mal jetzt alle erstmal gut. Soweit von mir für heute.

Liebe Grüße von Eurem Freitag-Oskar (eigentlich müsste ich Mittwoch-Oskar schreiben, aber dann wäre der Gedankensprung zum Anfang des heutigen Blogs vielleicht zu groß – aber was sind schon Wochentage)

Ps: Es ist jetzt 11:34 Uhr und wir sind schon seit sieben Stunden wach! Verrückt!
Pss: Ha, schon wieder erwische ich mich dabei, in Zeiteinheiten zu denken! Wenn John und Sheela das hier lesen würden, sie würden sicherlich unverständlich den Kopf schütteln und lachend sagen: „Diese Weißen…!“

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3 Antworten zu Oskar’s Vanuatu

  1. dieter sagt:

    klasse,in der ruhe liegt die beste kraft,hier ist alles im grünen bereich,neue brille,und öhrgeräte,eins hat der hund total vom nachttisch geklaut und zerkleinert,jetzt ist der hund 1500€ wert,ich bin begeistert

  2. Gerti sagt:

    Hi meine Lieben,
    schön für Euch und ich freu mich für Euch, was ihr so erleben dürft. Es sind gelungene Beiträge dabei, da kommt man gleich ins Träumen.
    Halt!
    Eigentlich muss ich noch so viel erledigen, bis auch wir in Richtung Australien aufbrechen. Also Zeit zum Träumen bleibt ja kaum.
    – Ups! –
    Haben wir nicht gerade gelernt, dass Zeit so was von unwichtig ist. Man macht, was man will und achtet dabei nicht auf die Zeit.
    Aber bei uns geht’s doch jetzt erst richtig los. Noch eine Woche bis zum 1. Advent. Dann der Start für den Weihnachtskalender … noch 24 Tage bis Weihnachten. Jeden Tag ein Fenster öffnen. Na hoffen wir mal, dass wir da nicht’s verpassen, wenn wir uns darin üben, zeitlos leben. …
    Wie heißt es so schön: Wenn das fünfte Lichtlein brennt, dann hast Du Weihnachten verpennt! … und vielleicht sogar am 25.12. den Flug. – Aber Oskar, keine Angst, wir achten schon auf die Zeit und darauf, zeitig ins Flugzeug einzusteigen. Auf bald, wir hören und sehen uns! LG, Gerti

  3. Gerti sagt:

    … und noch viele liebe Grüße an Shane!

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